Ableismus und Neurodivergenz
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Ableismus und Neurodivergenz – Warum die Diskriminierung so tief sitzt

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Vor ein paar Wochen waren viele Menschen empört über die Aussagen von Luke Mockridge zu Personen mit Handicap. Solche unbedachten Äusserungen sind verletzend, doch sie lenken nur vorübergehend Aufmerksamkeit auf ein tief verwurzeltes Problem: Ableismus und Neurodivergenz treffen in unserer Gesellschaft häufig auf Ignoranz und mangelnden Veränderungswillen. Wie äussert sich das konkret?


Tägliche Diskriminierung: Persönliche Erfahrungen

  1. Handelskammer in der Schweiz
    Ich meldete mich für ein Webinar an, doch die angedachte Durchführung war für mich als autistische Person problematisch. Anstatt nach einer Lösung zu suchen, erhielt ich nur das knappe: „Wir nehmen Ihre Nachricht zur Kenntnis und wünschen Ihnen alles Gute.“ Kein Ansatz, irgendetwas anzupassen.
  2. Stadtmarketing ohne Lösungsbereitschaft
    Ich wies auf bestimmte Vorgehensweisen in einer Stadt hin, die für neurodivergente Menschen schwierig sein können. Die Antwort: „Jedenfalls wünsche ich Ihnen alles Gute auf dem weiteren Lebensweg.“ Kein Angebot, darüber zu sprechen oder etwas zu ändern.
  3. Behindertenorganisation, die Kritik abblockt
    Auf meinen Hinweis zu ableistischem Verhalten kam nur: „Wir beraten viele Menschen mit Behinderungen, darunter auch Autisten. Wir wissen schon, was wir tun.“ Ein konstruktiver Austausch fand nicht statt, während in Foren dutzende Menschen genau das Gegenteil berichten.

Arbeitswelt: Wenn Homeoffice zum Kündigungsgrund wird

Eine Bekannte im Autismus-Spektrum bekam von ihrem Arbeitgeber das Angebot, häufiger im Homeoffice zu arbeiten – eine eigentlich großartige Lösung, um ihre Bedürfnisse und die Arbeit in Einklang zu bringen. Doch kaum nutzte sie dieses Angebot, wurde ihr vorgeworfen, sie halte sich nicht an „allgemeingültige Regeln“. Letztlich folgte die Kündigung, trotz vorgängiger Absprache. Ein Musterbeispiel dafür, wie Ableismus und Neurodivergenz durch fehlende Flexibilität kollidieren.


Warum so viele Autist*innen arbeitslos sind

Noch immer sind rund 90 % der Erwachsenen im Autismus-Spektrum arbeitslos. Das liegt nicht daran, dass diese Menschen nicht arbeiten möchten oder könnten. Doch häufig werden ihre spezifischen Bedürfnisse ignoriert oder als „Sonderwunsch“ belächelt. Dasselbe würde man kaum bei einer gehbehinderten Person tun, von der man verlangt, sie solle auf einen Baum klettern – eigentlich eine klare Absurdität.


Ein tieferes Problem als einzelne Provokationen

Die kurzfristige Aufregung rund um Luke Mockridge weist zwar auf Ableismus hin, doch tieferliegend ist das gesellschaftliche Desinteresse an inklusiven Strukturen. Viele Organisationen reagieren mit Phrasen statt mit Taten. Mich macht es traurig, dass wahrscheinlich noch lange kein wirklich inklusives Miteinander erreicht wird.


Ignoranz auf allen Ebenen

Nicht nur bei Webinaren, Organisationen oder Arbeitgebenden zeigt sich dieses Verhalten: Als eine ältere Dame eine Böschung hinunterrutschte und meine Frau und ich ihr halfen, hielt niemand anders an oder bot Unterstützung. Im Gegenteil, wir hörten Sätze wie: „Ich kann ja da sowieso nichts machen.“ Diese Gleichgültigkeit sagt viel darüber aus, wie wir insgesamt miteinander umgehen: „Was mich nicht direkt betrifft, das geht mich nichts an.“


Wie wir gemeinsam Barrieren abbauen können

„Wir nehmen Ihre Nachricht zur Kenntnis und wünschen Ihnen alles Gute.“ – solche Floskeln habe ich oft gehört. Doch wer nicht zuhört und Veränderungen anstösst, fördert letztlich das Fortbestehen ableistischer Strukturen.

Handlungsaufrufe für alle, die etwas bewegen wollen:

  1. Zuhören und Lernen
    • Arbeitgebende, Organisationen und Institutionen sollten die Erfahrungen neurodivergenter Menschen ernst nehmen.
    • Auf Feedback reagieren: Wenn Betroffene sagen, was sie brauchen, entstehen oft praktikable Lösungen.
  2. Strukturen anpassen
    • Flexible Arbeitsmodelle oder barrierearme Formate bei Veranstaltungen sind kein Luxus, sondern essenziell für eine vielfältige Gesellschaft.
    • Keine halben Sachen: Ein Homeoffice-Angebot muss ernst gemeint sein und nicht in Kündigungen enden, sobald es tatsächlich in Anspruch genommen wird.
  3. Wertschätzung statt Ausgrenzung
    • Wir profitieren von verschiedenen Denkweisen. Statt neurodivergentes Verhalten zu pathologisieren oder zu sanktionieren, sollten wir dessen Potenziale erkennen.
    • Respekt und Empathie helfen nicht nur den Betroffenen, sondern stärken das gesamte gesellschaftliche Gefüge.
  4. Miteinander statt Wegschauen
    • Ob eine ältere Dame in Not oder ein Kollege, der überreizt ist: In vielen Situationen können wir helfen, statt uns abzuwenden.
    • Eine solidarische Haltung beginnt im Alltag und erfordert aktives Hinschauen.

Solange wir uns weiterhin mit Phrasen zufriedengeben und Betroffene keine echte Unterstützung bekommen, wird sich nichts ändern. Jede Person, die sich gegen Ableismus und Neurodivergenz stellt, trägt dazu bei, dass wir uns einer wirklich inklusiven Gesellschaft nähern. Es ist ein langer Weg, aber jeder Schritt in Richtung Verständnis und Anpassung lohnt sich.

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