KI im Recruiting
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KI im Recruiting – Innovationskiller oder Chance für mehr Vielfalt?

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Stellen Sie sich vor, Ihr Unternehmen verpasst die kreativsten Köpfe – nur weil ein Algorithmus sie schon beim ersten Durchlauf des Lebenslaufs aussortiert. Was wie ein Science-Fiction-Szenario klingt, ist beim Einsatz von KI im Recruiting leider Realität. Und das Fatale daran: Gerade neurodivergente Talente (z. B. AD(H)S, Autismus, Legasthenie usw.) landen nicht selten auf der Strecke. Dabei sind sie oft die Treiber:innen für innovative Ideen und „Out-of-the-Box“-Lösungen.

Ich selbst bin bekennender Tech-Nerd 🤓 und nutze KI täglich, um meine Texte zu korrigieren und meine Arbeit effizienter zu gestalten. Ich liebe KI und verfolge die Entwicklung sehr gespannt.

Allerdings höre ich von Recruiter:innen immer wieder den Satz: „Wer einen ‚bunten‘ Lebenslauf hat, fällt durch das Raster der KI.“

Warum ist das so? Und wie können Unternehmen das Potenzial dieser Talente nutzen, statt es unbemerkt zu verschenken?


KI als Filter: Warum neurodivergente Talente auf der Strecke bleiben

  • Algorithmen suchen nach Mustern
    KI-Systeme sind darauf trainiert, anhand definierter Kriterien zu sortieren. Fehlende Keywords, Lücken im Lebenslauf oder ein ungewöhnliches Design werden oft als „Ausschlussgrund“ gewertet.
  • Ungewöhnliche Profile werden aussortiert
    Viele neurodivergente Menschen haben einen Lebenslauf, der nicht in klassische Schablonen passt. Vielleicht gibt es mehr Brüche oder Umwege, die aber oft mit besonderen Fähigkeiten, Interessen und Erfahrungen einhergehen. Die KI jedoch „sieht“ nur das Ungewohnte und filtert es aus.
  • Verlorene Innovation
    Zahlreiche Studien belegen: Diverse Teams – und damit auch neurodiverse Teams – bringen mehr Innovation hervor. Wenn jedoch genau diese Menschen nicht mal die erste Bewerbungs-Hürde nehmen können, geht Unternehmen wertvolles Potenzial verloren.
  • Fachkräftemangel und gesellschaftliche Folgekosten
    Viele Branchen suchen händeringend Talente. Gleichzeitig sitzen hochtalentierte, aber „anders“ auftretende Bewerber:innen zu Hause, weil sie unzählige Absagen kassieren. Das führt nicht nur zu persönlicher Frustration und eventuell zur Aufgabe des Bewerbungsprozesses, sondern auch zu volkswirtschaftlichen Schäden.

Praxiseinblicke: Wer macht es schon besser?

Einige Unternehmen haben bereits erkannt, wie wichtig ein inklusiver Recruiting-Prozess ist – und wie hinderlich eine „zu enge“ KI-Vorselektion sein kann. Beispiele, die man immer wieder hört:

  • SAP: „Autism at Work“-Initiative
    SAP rekrutiert gezielt Menschen im Autismus-Spektrum, weil sie besondere Fähigkeiten im Bereich Datenanalyse und Detailgenauigkeit mitbringen. Der Auswahlprozess wurde entsprechend angepasst, damit diese Talente nicht frühzeitig aussortiert werden.
  • Microsoft und andere Tech-Firmen
    Sie setzen auf „Neurodiversity Hiring Programs“, bei denen es spezielle Kennenlern-Workshops gibt. Dabei nimmt man sich mehr Zeit, Bewerber:innen in ihrer ganzen Persönlichkeit wahrzunehmen – ganz ohne automatisierte Filtermechanismen, die untypische Lebensläufe ablehnen.

Diese Beispiele zeigen: Mit der richtigen Einstellung – und der passenden Anpassung von Abläufen – funktioniert ein inklusives Recruiting wunderbar und bereichert das Team.


So können Unternehmen gegenzusteuern

1. KI-Algorithmen bewusst anpassen

  • Diversität statt Einheitsbrei: Legen Sie Kriterien fest, die eine gewisse „Breite“ zulassen. Ein Lebenslauf ohne Lücken ist kein Garant für Qualität.
  • Gewichtung hinterfragen: Muss wirklich jedes Keyword vorhanden sein? Und wie wichtig ist das Layout? KI kann so trainiert werden, dass sie ungewöhnliche Profile nicht direkt aussortiert, sondern als „mögliche Chance“ kennzeichnet.

2. Manuelle Nachprüfung einführen

  • Zweiter Blick: Definieren Sie klare Prozesse, in denen „auffällige“ oder „untypische“ Lebensläufe mindestens einmal von einem Menschen gesichtet werden.
  • Check & Balance: Damit die Entscheidung nicht nur auf einer Maschine beruht, sollte eine Person aus dem Recruiting die finale Empfehlung treffen.

3. Für ein inklusives Arbeitsumfeld sorgen

  • Struktur & Kommunikation: Das bedeutet klare Aufgaben, feste Ansprechpartner:innen, transparente Prozesse. Davon profitieren alle Beschäftigten – nicht nur Neurodivergente.
  • Reizarme Arbeitsplätze: Schallschutz, flexible Beleuchtung, Rückzugsmöglichkeiten – all das sorgt für weniger Stress und mehr Produktivität.
  • Offenes Mindset: Führungskräfte und Kolleg:innen sollten wissen, warum Neurodiversität ein Gewinn ist. Schulungen oder interne Workshops helfen, Berührungsängste abzubauen.

Konkrete Handlungsempfehlungen für Recruiter:innen

  1. Checklisten erstellen: Welche Mindestanforderungen sind wirklich notwendig? Was kann die KI übernehmen, was sollte ein Mensch prüfen?
  2. „Anforderungsprofile“ entschlacken: Manchmal stehen in Stellenausschreibungen so viele Muss-Kriterien, dass ein Quereinsteiger (oder eine Person mit atypischem Werdegang) kaum eine Chance hat. Der Satz: Es müssen nicht alle Kriterien erfüllt werden, kann dazu führen, dass sich mehr neurodivergente Menschen bewerben. Ja, wir Neurodivergenten gehen davon aus, dass ALLE Kriterien lückenlos erfüllt werden müssen.
  3. Feedback-Schleifen einbauen: Lassen Sie Bewerbende wissen, warum sie abgelehnt wurden. So können sie sich verbessern – oder es wird sichtbar, wenn die Ablehnung vielleicht ungerechtfertigt war.
  4. Pilotprojekte starten: Testen Sie alternative Methoden, zum Beispiel ein Probetag oder eine Probeaufgabe, statt nur den Lebenslauf als Massstab zu nehmen.
  5. Vorstellungsgespräche: Neurodivergente Menschen haben oft Probleme damit, z.B. Blickkontakt zu halten. Solche Banalitäten sollten nicht als Ausschlusskriterium dienen.

Erfolgsgeschichten & Best Practices

  • Team-Building durch Vielfalt: Mehrere Unternehmen berichten, dass neurodiverse Teams eine bessere Fehlerquote (also weniger Fehler) und mehr kreative Lösungsansätze haben.
  • Hohe Loyalität: Sobald neurodivergente Menschen ein unterstützendes Umfeld finden, bleiben sie oft langfristig im Unternehmen. Das wirkt dem Fachkräftemangel direkt entgegen.
  • Positive Aussenwirkung: Ein inklusives Recruiting-Prozess spricht sich herum. Das kann der Arbeitgebermarke enorm helfen und weitere Talente anziehen.

Perspektiven von Betroffenen

Ich persönlich (als neurodivergenter Mensch und Tech-Fan) weiss, wie hilfreich KI sein kann – und gleichzeitig, wie falsch sie im Recruiting eingesetzt werden kann. Wer einmal in einem automatisierten System hängen bleibt, spürt oft nur eine unpersönliche Ablehnung.

Andere neurodivergente Menschen berichten von langen, frustrierenden Bewerbungsphasen: Sie verstehen nicht, warum sie trotz (objektiv guter) Qualifikationen nicht mal ein Gespräch bekommen. Manchmal liegt es schlicht an einer nicht optimierten Keyword-Suche der KI.

Tipp: Regelmässige Feedback-Prozesse zwischen Personalabteilung, Bewerbenden und ggf. externen Beratungsstellen (wie zum Beispiel wir von Neuxopreneur) helfen enorm.


Gesamtfazit mit Ausblick

KI ersetzt (noch) nicht den Menschen. Gerade wenn wir echte Innovation suchen, dürfen wir uns nicht blind auf Algorithmen verlassen. Unternehmen, die ihre Prozesse anpassen und KI als Hilfsmittel statt als alleinigen Filter begreifen, schaffen die Grundlage für eine vielfältige, kreative und zukunftsfähige Belegschaft.

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