Neurodivergenz im Alltag zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit
Wer mit Autismus, ADHS, Dyslexie oder einer anderen Form der Neurodivergenz lebt, kennt das Dilemma: Ausgerechnet in Situationen, in denen Struktur, Ruhe und Verständnis am nötigsten wären – etwa im dichten Pendelverkehr oder beim Umsteigen auf einem fremden Bahnhof – sind Stresspegel und Reizflut am höchsten. Die individuelle Herausforderung bleibt für Aussenstehende meist unsichtbar. Genau hier setzt das Hidden Disabilities Sunflower-Lanyard an: ein grünes Schlüsselband mit gelben Sonnenblumen, das diskret signalisiert: „Ich habe eine nicht sichtbare Behinderung. Bitte nehmt Rücksicht. Vielleicht brauche ich etwas mehr Zeit, klare Ansagen oder einen ruhigen Ort.“ (hdsunflower.com). Das Sunflower Lanyard kommt nun auch vermehrt in der Schweiz an.
Ein Symbol macht Schule – vom Flughafen in die Bahn
Die Idee stammt aus Grossbritannien; heute sind über 1,3 Milliarden Menschen weltweit von einer Form der Behinderung betroffen, rund 80 % davon unsichtbar – also auch viele neurodivergente Personen (hdsunflower.com). Das Lanyard ist längst an Flughäfen, in Museen und seit Kurzem sogar als Lego-Minifigur präsent (theguardian.com).
Seit 17. Juni 2025 trägt nun auch die Schweizerische Bundesbahn (SBB) die Sonnenblume – und ist damit das erste landesweit tätige Verkehrsunternehmen, das sich dem Programm anschliesst (swissinfo.ch, alzheimer-schweiz.ch). Der Schritt kam keineswegs aus dem Nichts: Schon 2024 lief ein kleiner Pilot mit wenigen Bahnhöfen, der interne Schulungen und Feedbackgespräche auslöste. Nun folgt der offizielle Roll-out in der ganzen Schweiz.
Was genau ändert sich für Reisende?
- Kostenloser Bezug: Das Lanyard kann in ausgewählten SBB Reisezentren und online gegen Versandgebühr bestellt werden.
- Sensibilisiertes Personal: Frontmitarbeitende – von der Zugbegleiterin bis zum Bahnhofshelfer – erhalten verpflichtende E-Learnings zu Neurodivergenz, Demenz, psychischen Erkrankungen und sensorischer Überlastung.
- Pilot-Lounges: In Zürich HB und Bern entstehen Ende 2025 erste „Quiet Corners“ mit gedimmtem Licht und klarer Beschilderung.
- Freiwilligkeit: Das Tragen ist ein Angebot an Reisende, keine Pflicht. Daten werden nicht registriert; das Lanyard ist bewusst nicht personalisiert, um Privatsphäre zu schützen.
Diese Massnahmen mögen klein wirken, doch sie bauen Barrieren ab, wo sie am dringendsten sind: bei Orientierung, Kommunikation und Reizregulierung. Für jemanden, der im Gedränge des Feierabend-Rushs in einen Overload rutscht, kann ein kurzer, geschulter Blickkontakt vom Zugpersonal bereits deeskalierend wirken.
Technorama Winterthur – ein Pionier als Role Model
Dass das Konzept auf Schweizer Boden funktioniert, zeigt das Swiss Science Center Technorama. Schon seit Mai 2024 führt das Museum das Lanyard und kombiniert es mit stillen Stunden sowie Rückzugsräumen (technorama.ch, technorama.ch). Besonders für neurodivergente Kinder, die dort naturwissenschaftliche Phänomene haptisch erforschen, macht die zusätzliche Kennzeichnung einen spürbaren Unterschied. Das Technorama hat der SBB wichtige Erfahrungswerte geliefert: Klare Piktogramme, genügend Halterungen für Noise-Cancelling-Kopfhörer und geschulte Volunteers.
Warum das Thema Neurodivergenz zentral ist
Neurodivergente Menschen erleben nicht nur sensorische, sondern auch kommunikative Barrieren. Ironisch: Gerade weil die Behinderung unsichtbar ist, fühlen sich viele verpflichtet zu masking – also zum ständigen Anpassen an neurotypische Normen. Das ist anstrengend und kann zu Burn-out führen. Ein einfaches Abzeichen wie das Sunflower-Lanyard senkt die psychische Hürde, Unterstützung einzufordern. Gleichzeitig schult es das Umfeld darin, nicht sichtbare Bedarfe wahrzunehmen – ein klassischer Win-win.
So passt das Lanyard zur Mission von nexopreneur.ch
Unsere Plattform versteht Neurodivergenz nicht als Defizit, sondern als wertvolle Variation des menschlichen Gehirns. Innovation entsteht dort, wo Diversität ernstgenommen wird. Das Lanyard ist deshalb mehr als ein Accessoire; es ist ein gesellschaftlicher „Nudge“ für mehr Empathie im öffentlichen Raum. Wie begrüssen die vermehrte Verbreitung des Sunflower Lanyard in der Schweiz.
Drei konkrete Chancen:
- Offene Gespräche: Menschen trauen sich, ihr Autismus- oder ADHS-Profil aktiv anzusprechen.
- Daten und Forschung: Mit wachsender Verbreitung lassen sich bessere Service-Design-Prozesse evaluieren.
- Vorbildfunktion: Wenn die SBB vorangeht, steigt der Druck auf andere Transport- und Serviceanbieter – vom Postauto bis zur Badi.
Kritikpunkte und wie man ihnen begegnet
- „Stigmatisiert mich das sichtbar?“ – Das Lanyard ist freiwillig. Wer sich damit nicht wohlfühlt, lässt es weg oder wählt alternative Hilfen (z. B. digitale Badges).
- „Wird das wirklich ernstgenommen?“ – Nachhaltig funktioniert das nur, wenn Schulungen regelmässig stattfinden. Die SBB verpflichtet sich, Evaluationsdaten 2026 transparent zu kommunizieren.
- „Und wenn jemand es missbraucht?“ – Kein System ist narrensicher. Doch die Gefahr, Assistenz von Menschen in echter Not abzuziehen, wiegt schwerer als potenzieller Missbrauch.
Praktische Tipps für neurodivergente Bahnreisende
- Vorab informieren: Auf sbb.ch/sunflower finden Sie alle beteiligten Reisezentren.
- Reisezeit wählen: Wenn möglich, Randzeiten buchen. Abends nach 19 Uhr sind viele Züge leerer.
- Ruhige Wagen: Im Doppelstock‐IC 2 bieten die Endbereiche oben die geringste Geräuschkulisse.
- Klare Ansagen einfordern: Mit Lanyard können Sie das Zugpersonal konkret um reizarme Kommunikation bitten, z. B. schriftliche Infos statt Lautsprecherdurchsage.
- Reizabschirmung: Noise-Cancelling-Kopfhörer + Sonnenblumenband = offizieller „Freibrief“ gegen Small Talk.
Blick nach vorn – vom Lanyard zur inklusiven Mobilität
Das Ziel kann nicht sein, alle divergenten Bedürfnisse durch ein Band abzudecken. Vielmehr ist das Lanyard ein Türöffner für Universal Design: Fahrgastinfos in Leichter Sprache, kontrastreiche Piktogramme, Oberflächen ohne Flimmerlicht. Gleichzeitig zeigt der Schritt der SBB, wie öffentlich finanzierte Betriebe Verantwortung für kulturellen Wandel tragen.
Langfristig wäre denkbar:
- Ticket-App-Integration: Option, spezielle Bedürfnisse per Klick zu hinterlegen, ohne Extra-Formulare.
- Gemeinschaftskampagnen: Kinos, Fussballstadien und Messen könnten gemeinsam mit Verkehrsverbünden Awareness-Wochen durchführen.
- Co-Creation: Neurodivergente Fahrgäste designen zusammen mit UX-Teams zukünftige Wagenlayouts.
Kleine Sonnenblumen, grosse Wirkung
Sunflower Lanyard Schweiz: Ein grünes Band mit gelben Blumen ändert nicht über Nacht das komplexe Geflecht aus Barrieren, Vorurteilen und Reizüberflutung, mit dem neurodivergente Menschen alltäglich konfrontiert sind. Aber es sendet ein kraftvolles Signal: „Ich darf sichtbar sein – auch wenn meine Herausforderung unsichtbar ist.“ Wenn jeder Zugbegleitende jeder Pendelnde und jeder Manager am Schalter dieses Signal kennt, machen wir einen spürbaren Schritt hin zu echter Inklusion.
Im Sinne der NexoPreneur-Mission laden wir Sie ein, die Premiere des Sunflower-Lanyards bei der SBB nicht nur als Service-News abzuhaken, sondern als Einladung, über eigene Wahrnehmungs- und Kommunikationsmuster nachzudenken. Denn neurodivergente Kompetenzen entfalten sich dort am besten, wo gesellschaftliche Infrastruktur Rücksicht, Zeit und Klarheit schenkt – sei es im Zug, im Labor oder im Start-up-Studio.
Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass auf Schweizer Gleisen künftig nicht nur Züge, sondern auch Sonnenblumen rollen. 🌻
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