Vielleicht bist du in letzter Zeit immer wieder über den Begriff Neurodivergenz gestolpert. Er beschreibt Menschen, deren Gehirne anders funktionieren als das, was oft als „normal“ oder „neurotypisch“ bezeichnet wird. Vor allem über Autismus und ADHS wird viel geschrieben, doch die Vielfalt geht weit darüber hinaus. In diesem Beitrag erhältst du einen Überblick über verschiedene neurodivergente Varianten, ihre Besonderheiten, Herausforderungen und Stärken – und warum es sich lohnt, genauer hinzuschauen.
Was bedeutet Neurodivergenz?
Neurodivergenz ist Teil des Konzepts der Neurodiversität. Dahinter steckt die Idee, dass nicht jedes Gehirn gleich funktionieren muss, um wertvoll und bedeutsam zu sein. Manche Menschen denken in Strukturen, andere eher in Bildern; manche haben ein besonders feines Sensorium für Reize, andere wiederum eine enorme Ausdauer für Themen, die sie faszinieren. Neurodivergenz beschreibt also nicht ein Defizit, sondern schlicht eine Abweichung von der Mehrheit.
Autismus-Spektrum
Ein Bereich, der oft mit Neurodivergenz in Verbindung gebracht wird, ist Autismus. Autistische Menschen nehmen die Welt auf eine ganz eigene Weise wahr. Manche haben Schwierigkeiten mit nonverbaler Kommunikation, andere fühlen sich in sozialen Situationen schnell überfordert. Gleichzeitig zeichnen sich viele durch ein aussergewöhnliches Auge fürs Detail oder durch eine tiefe Begeisterung für Spezialthemen aus. Autismus ist kein einheitliches Krankheitsbild, sondern ein Spektrum: Während manche früh Unterstützung benötigen, fällt es bei anderen erst im Erwachsenenalter auf. Mir selbst ist es mit ungefähr 40 Jahren immer deutlicher aufgefallen.
ADHS
Auch ADHS ist weit verbreitet. Viele verbinden es mit zappeligen Kindern, die nicht stillsitzen können. Doch das greift zu kurz. Erwachsene mit ADHS kämpfen oft mit Organisation, Planung und Zeitgefühl. Sie neigen dazu, Aufgaben vor sich herzuschieben, vergessen Termine oder lassen sich leicht ablenken. Gleichzeitig steckt in ADHS eine enorme Energie: Kreativität, Spontaneität und Begeisterungsfähigkeit sind typische Stärken. Wenn Strukturen und Strategien stimmen, können Menschen mit ADHS in Bereichen aufblühen, in denen Flexibilität und Einfallsreichtum gefragt sind.
Legasthenie und Dyslexie
Weniger im Rampenlicht, aber ebenso bedeutsam, ist die Legasthenie, auch Dyslexie genannt. Betroffene haben Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben, obwohl sie über normale oder sogar überdurchschnittliche Intelligenz verfügen. Für Kinder bedeutet das oft Frust in der Schule, für Erwachsene kann es eine Hürde im Berufsleben sein. Es lohnt sich, bei Auffälligkeiten früh zu intervenieren. Wir erleben in unserer Arbeit immer wieder, dass Kindern mittels Druck Lesen und Schreiben beigebracht werden soll und eine Mögliche Neurodivergenz nicht in Betracht gezogen wird. Viele Legasthenikerinnen und Legastheniker bringen besondere Stärken mit, etwa ein hohes räumliches Vorstellungsvermögen oder kreative Problemlösungsstrategien.
Dyspraxie
Dyspraxie betrifft die Planung und Koordination von Bewegungen. Betroffene wirken manchmal ungeschickt, stolpern häufig oder haben Mühe mit feinmotorischen Tätigkeiten wie Schreiben oder Knöpfe schliessen. Was für Aussenstehende wie Ungeschick wirkt, hat neurologische Ursachen. Mit gezielter Förderung und passenden Strategien lässt sich jedoch viel erreichen, und nicht selten entwickeln Betroffene besondere Ausdauer und Hartnäckigkeit.
Hochbegabung und Twice-Exceptional
Hochbegabung wird nicht immer als Neurodivergenz betrachtet, doch in Kombination mit anderen Merkmalen wie Autismus oder ADHS entsteht das, was Fachleute „twice-exceptional“ nennen. Menschen in dieser Konstellation verfügen über aussergewöhnliche intellektuelle Fähigkeiten, stossen jedoch gleichzeitig auf Hürden, die ihr Potenzial im Alltag verdecken können. Dieses Spannungsfeld führt oft zu Missverständnissen und macht einmal mehr deutlich, wie individuell neurodivergente Profile sind.
Weitere Varianten
Zur Neurodivergenz zählen noch zahlreiche weitere Erscheinungsformen. Menschen mit Tourette-Syndrom beispielsweise erleben unwillkürliche Tics, die motorisch oder sprachlich sein können. Andere haben Störungen in der Sinnesverarbeitung und reagieren besonders stark oder besonders schwach auf Reize wie Geräusche, Licht oder Berührung. Auch Lernstörungen wie Dyskalkulie, also Schwierigkeiten im Umgang mit Zahlen, werden oft in diesem Zusammenhang genannt. All diese Varianten zeigen: Neurodivergenz ist vielfältig, bunt und komplex.
Überschneidungen und Mischformen
Nicht selten treten mehrere neurodivergente Merkmale gleichzeitig auf. Ein Mensch kann sowohl ADHS als auch autistische Züge haben, eine Legasthenie kann mit Aufmerksamkeitsproblemen einhergehen. Diese Überschneidungen, die Fachleute Komorbiditäten nennen, machen Diagnosen komplexer – verdeutlichen aber auch, dass jede Person einzigartig ist. Es gibt nicht „den autistischen Menschen“ oder „die Person mit ADHS“, sondern immer individuelle Kombinationen von Stärken, Herausforderungen und Persönlichkeitsmerkmalen.
Herausforderungen im Alltag
Viele neurodivergente Menschen berichten von Schwierigkeiten im Alltag. Dazu gehören Reizüberflutung in lauten Umgebungen, Probleme mit Organisation und Zeitmanagement oder Missverständnisse in sozialen Situationen. Auch Emotionen können intensiver erlebt werden, was zu Stress oder Überlastung führt. Diese Herausforderungen sind real und können ohne Unterstützung zu Überforderung und Erschöpfung beitragen.
Stärken und Potenziale
Gleichzeitig bringt Neurodivergenz besondere Stärken mit sich. Viele Betroffene haben ein aussergewöhnliches Auge fürs Detail, eine enorme Ausdauer bei Spezialinteressen oder die Fähigkeit, kreativ und unkonventionell zu denken. Manche sind hochsensibel und empathisch, andere glänzen durch analytisches Denken und tiefe Expertise. Die Gesellschaft profitiert von dieser Vielfalt, sofern Raum dafür geschaffen wird.
Unterstützung und Umgang
Die wichtigste Grundlage ist Information. Wenn du weisst, wie dein Gehirn funktioniert, kannst du besser damit umgehen. Diagnosen bringen Klarheit und öffnen Türen zu Therapien oder Coachings. Im Alltag helfen Routinen, visuelle Hilfen oder feste Strukturen. In Schule und Beruf sind flexible Rahmenbedingungen entscheidend, wie etwa Homeoffice, klare Kommunikation oder sensorisch angenehme Arbeitsumgebungen. Auch Selbsthilfegruppen und Peer-Netzwerke bieten wertvolle Unterstützung. Entscheidend ist, dass Unterschiede nicht als Fehler gesehen werden, sondern als Varianten des Menschseins.
Fazit
Neurodivergenz ist weit mehr als ein Schlagwort. Sie zeigt, dass Menschen unterschiedlich denken, fühlen und wahrnehmen – und dass diese Vielfalt eine Bereicherung sein kann. Wenn wir lernen, Herausforderungen ernst zu nehmen und gleichzeitig Stärken zu fördern, profitieren alle: Betroffene, ihre Familien, Arbeitgeber und die Gesellschaft insgesamt. Anders zu denken bedeutet, neue Wege zu sehen. Genau darin liegt ein Wert, den wir nicht unterschätzen sollten.
Weitere Infos
https://nexopreneur.ch/literatur-ueber-neurodivergenz/
Quellen
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Rechtlicher Hinweis: Dieser Artikel dient ausschliesslich der Information und Prävention. Die Inhalte ersetzen keine medizinische oder psychotherapeutische Behandlung. Bei akuten psychischen Belastungen wende Dich an einen Arzt oder Psychotherapeuten. Coaching ist keine Heilkunde und behandelt keine Krankheiten.
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