Sensorik Design wie ein stilles LED-Pultlicht, ein schallabsorbierender Teppich oder klar beschriftete Türen sind keine Luxusdetails – für viele neurodivergente Menschen sind sie der Unterschied zwischen «Ich funktioniere» und «Ich kippe in den Overload». In der Schweiz leben schätzungsweise 15–20 % der Bevölkerung ausserhalb der neurotypischen Reizverarbeitung. Wer ihre Sinnesbedürfnisse respektiert, schafft Räume, in denen Betroffene, Angehörige und Unternehmungen gleichzeitig profitieren.
1. Was genau stresst das Nervensystem?
- Licht – flimmernde Leuchtstoffröhren, blaustichige Spots oder Spiegelungen auf Glas.
- Akustik – dauerhaftes Grundrauschen im Grossraumbüro, Echo im Treppenhaus, Durchsagen auf Perrons.
- Geruch & Temperatur – Parfumwolken, Kantinendämpfe, überklimatisierte Sitzungszimmer.
- Unklare Wegführung – visuelles Chaos, zu viele Piktogramme, fehlende Rückzugsorte.
Jede Reizkategorie kann einzeln triggern; in Kombination wird sie schnell zur «sensorischen Überladung».
2. Licht: Von Flimmerstress zu Wohlfühl-Lux
Quick Win | High Impact |
---|---|
Flickerfrei: LED-Panels mit stabilisierten Treibern (keine 100-Hz-Modulation). | Tunable White: Tageslichtverlauf von 2700 K morgens bis 5000 K mittags. |
Indirekte Beleuchtung statt Spot auf glänzende Tischflächen. | Individuelle Steuerung via App oder Drehdimmer – Autonomie senkt Stress. |
Blendfreie Leuchten mit opalem Diffusor. | Zonierte Helligkeit: Fokus-Box ≈ 300–500 lx, Lounge ≈ 150 lx. |
Schon der Austausch alter Neonröhren gegen flickerfreie LED-Tubes reduziert Kopfschmerzen und Ermüdung spürbar – Kostenpunkt ab etwa CHF 25 pro Röhre. olympialighting.com
3. Akustik: Wenn Ruhe hörbar wird
- Absorbierende Deckenplatten (Schallabsorptionsklasse A) senken die Nachhallzeit im Open Space unter 0,6 s. Die Schweizer Norm SIA 181/1 empfiehlt diesen Wert explizit. cms.sia.ch
- Mobiliar als «Schallmöbel»: Sofa mit hohem Rücken, Filz-Trennwände oder «Hush-Cabins» für konzentriertes Arbeiten.
- Raumzonen nach Pegel: leise Fokuszone (< 40 dB), Kollaborationszone (40–55 dB), soziale Zone (> 55 dB). Eine Studie in 28 Grossraumbüros weist bis zu 20 % Produktivitätsgewinn nach, sobald die Absorption verbessert wird. sciencedirect.com
ÖV-Side-Note: Die SBB führt seit Juni 2025 ein Sonnenblumen-Lanyard (Hidden Disabilities Sunflower) ein, um unsichtbare Behinderungen wie Autismus sichtbar zu machen – ein Vorbild für Events oder Empfangsbereiche. hdsunflower.com
4. Geruch & Luftqualität: Atmen ohne Ablenkung
Gerüche fluten das limbische System direkt. Neurodivergente Personen reagieren daher häufig extrem auf Parfum, Reinigungsmittel oder Essensdämpfe.
- Lüftung statt Duftspender: CO₂-Sensoren koppeln Frischluftklappen smart an Belegung.
- Duft-Policy: «Bitte dezent oder unparfümiert» lässt sich wie jede Hausregel kommunizieren und gilt als angemessene ADA-Unterstützung. askjan.org
- Materialwahl: Farbe, Teppich, Möbelleim möglichst lösemittelfrei, um Off-Gassing zu minimieren.
- Checkliste für Mitarbeitende: neutrales Deo, geruchsneutrale Waschmittel, kein Raumspray am Platz.
5. Orientierung & visuelles Design
- Farbkodierte Wegleitung (z. B. blau = Sanitär, grün = Rückzug) reduziert Suchstress erheblich.
- Piktogramme + Text: Doppelkodierung hilft Menschen mit Dyslexie oder ADHS.
- Mikro-Rückzugsorte: Eine Nische mit gedämpftem Licht wirkt Wunder für den Nervensystem-Reset. Pods sind kein Allheilmittel, funktionieren aber, wenn sie wirklich leise sind (< 30 dB). wired.com
6. Sensory-Quick-Checks
Für Betroffene | Für Angehörige | Für Unternehmungen |
---|---|---|
Geräuschpegel messen (Gratis-Apps), Noise-Cancelling-Kopfhörer einplanen. | Reizsignale (Hand-Flattern, Kopfhörer) als «Ampel» akzeptieren. | Mini-Audit: Licht-Flicker, Nachhall, Geruchsquellen erfassen. |
Sonnenbrille mit leichtem Gelbfilter gegen LED-Blendung. | Sensorik-Notfalltasche: Kopfhörer, Menthol-Stift. | Low-Cost-Massnahmen: Tischleuchten, Teppichinseln, Akustik-Baffeln. |
Eigene Pause-Slots blocken, bevor Kalendereinladungen reinfliegen. | Zuhause: Dimmbare Steh-Lampe und rutschfester Teppich im Flur. | Policy: «Quiet Mondays» oder Meeting-freie Stunden einführen. |
– | – | Mitreden lassen: Betroffene in Projektteams holen – ihr Sensorik-Radar ist Gold wert. |
7. Sensory-Literate Leadership – Fünf Massstäbe
- Commitment sichtbar machen: Sensorik-Ziele im ESG-Bericht oder Inklusions-Leitbild verankern.
- Budgetieren: 1–3 % der Umbaukosten für Akustik und adaptives Licht einplanen – deutlich günstiger als spätere Krankheitsabsenzen.
- Pilot-Zone einrichten: Einen Raum vollständig reizarm gestalten und Nutzungsdaten vor/nachher messen.
- Schulen & onboarden: Führungskräfte in 90-Min-Sessions für sensorische Trigger sensibilisieren.
- Messen & kommunizieren: KPIs wie Fehlzeiten, Task-Effizienz oder Fluktuation vor und nach Massnahmen vergleichen. Eine nordische Studie zeigt 6–20 % Effizienzsteigerung in reizoptimierten Büros. sciencedirect.com
8. ROI statt Nice-to-Have
- Produktivität: Menschen in flicker- und lärmreduzierten Räumen erledigen kognitive Aufgaben 8–20 % schneller. olympialighting.com
- Talent-Retention: Arbeitgeberinnen, die Neurodiversität sichtbar unterstützen, berichten von halbierter Fluktuation bei spezialisierten Fachkräften.
- Employer Branding: Wer Sensorik-Design kommuniziert, positioniert sich als verantwortungsbewusste Marke – gerade für die Generation Z entscheidend.
Fazit
Sensorik Design ist kein Mammutprojekt. Beginnen Sie mit dem, was man sehen, hören und riechen kann – und geben Sie Menschen Wahlmöglichkeiten. Jeder eingesparte Dezibel, jede reduzierte Lichtflimmerfrequenz und jede klar beschriftete Tür zahlt doppelt zurück: in Lebensqualität für Betroffene und Angehörige – und in Fokus, Gesundheit und Innovationskraft für Teams und Unternehmungen.
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Schlagwörter: ADHS, Arbeitsplatzgestaltung, Autismu