Sensorik Design
Sensorik Design - Foto von Vasilis Caravitis auf Unsplash

Reizarm gestalten – warum gutes Sensorik-Design alle gewinnt

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  • Beitrags-Kategorie:Arbeitsplatz
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Sensorik Design wie ein stilles LED-Pultlicht, ein schallabsorbierender Teppich oder klar beschriftete Türen sind keine Luxusdetails – für viele neurodivergente Menschen sind sie der Unterschied zwischen «Ich funktioniere» und «Ich kippe in den Overload». In der Schweiz leben schätzungsweise 15-20 % der Bevölkerung ausserhalb der neurotypischen Reizverarbeitung. Wer ihre Sinnesbedürfnisse respektiert, schafft Räume, in denen Betroffene, Angehörige und Unternehmungen gleichzeitig profitieren.


1. Was genau stresst das Nervensystem?

  • Licht – flimmernde Leuchtstoffröhren, blaustichige Spots oder Spiegelungen auf Glas.
  • Akustik – dauerhaftes Grundrauschen im Grossraumbüro, Echo im Treppenhaus, Durchsagen auf Perrons.
  • Geruch & Temperatur – Parfumwolken, Kantinendämpfe, überklimatisierte Sitzungszimmer.
  • Unklare Wegführung – visuelles Chaos, zu viele Piktogramme, fehlende Rückzugsorte.

Jede Reizkategorie kann einzeln triggern; in Kombination wird sie schnell zur «sensorischen Überladung».


2. Licht: Von Flimmerstress zu Wohlfühl-Lux

Quick WinHigh Impact
Flickerfrei: LED-Panels mit stabilisierten Treibern (keine 100-Hz-Modulation).Tunable White: Tageslichtverlauf von 2700 K morgens bis 5000 K mittags.
Indirekte Beleuchtung statt Spot auf glänzende Tischflächen.Individuelle Steuerung via App oder Drehdimmer – Autonomie senkt Stress.
Blendfreie Leuchten mit opalem Diffusor.Zonierte Helligkeit: Fokus-Box ≈ 300-500 lx, Lounge ≈ 150 lx.

Schon der Austausch alter Neonröhren gegen flickerfreie LED-Tubes reduziert Kopfschmerzen und Ermüdung spürbar – Kostenpunkt ab etwa CHF 25 pro Röhre. olympialighting.com


3. Akustik: Wenn Ruhe hörbar wird

  • Absorbierende Deckenplatten (Schallabsorptionsklasse A) senken die Nachhallzeit im Open Space unter 0,6 s. Die Schweizer Norm SIA 181/1 empfiehlt diesen Wert explizit. cms.sia.ch
  • Mobiliar als «Schallmöbel»: Sofa mit hohem Rücken, Filz-Trennwände oder «Hush-Cabins» für konzentriertes Arbeiten.
  • Raumzonen nach Pegel: leise Fokuszone (< 40 dB), Kollaborationszone (40-55 dB), soziale Zone (> 55 dB). Eine Studie in 28 Grossraumbüros weist bis zu 20 % Produktivitätsgewinn nach, sobald die Absorption verbessert wird. sciencedirect.com

ÖV-Side-Note: Die SBB führt seit Juni 2025 ein Sonnenblumen-Lanyard (Hidden Disabilities Sunflower) ein, um unsichtbare Behinderungen wie Autismus sichtbar zu machen – ein Vorbild für Events oder Empfangsbereiche. hdsunflower.com


4. Geruch & Luftqualität: Atmen ohne Ablenkung

Gerüche fluten das limbische System direkt. Neurodivergente Personen reagieren daher häufig extrem auf Parfum, Reinigungsmittel oder Essensdämpfe.

  • Lüftung statt Duftspender: CO₂-Sensoren koppeln Frischluftklappen smart an Belegung.
  • Duft-Policy: «Bitte dezent oder unparfümiert» lässt sich wie jede Hausregel kommunizieren und gilt als angemessene ADA-Unterstützung. askjan.org
  • Materialwahl: Farbe, Teppich, Möbelleim möglichst lösemittelfrei, um Off-Gassing zu minimieren.
  • Checkliste für Mitarbeitende: neutrales Deo, geruchsneutrale Waschmittel, kein Raumspray am Platz.

5. Orientierung & visuelles Design

  • Farbkodierte Wegleitung (z. B. blau = Sanitär, grün = Rückzug) reduziert Suchstress erheblich.
  • Piktogramme + Text: Doppel­kodierung hilft Menschen mit Dyslexie oder ADHS.
  • Mikro-Rückzugsorte: Eine Nische mit gedämpftem Licht wirkt Wunder für den Nervensystem-Reset. Pods sind kein Allheilmittel, funktionieren aber, wenn sie wirklich leise sind (< 30 dB). wired.com

6. Sensory-Quick-Checks

Für BetroffeneFür AngehörigeFür Unternehmungen
Geräuschpegel messen (Gratis-Apps), Noise-Cancelling-Kopfhörer einplanen.Reizsignale (Hand-Flattern, Kopfhörer) als «Ampel» akzeptieren.Mini-Audit: Licht-Flicker, Nachhall, Geruchsquellen erfassen.
Sonnenbrille mit leichtem Gelbfilter gegen LED-Blendung.Sensorik-Notfalltasche: Kopfhörer, Menthol-Stift.Low-Cost-Massnahmen: Tischleuchten, Teppichinseln, Akustik-Baffeln.
Eigene Pause-Slots blocken, bevor Kalendereinladungen reinfliegen.Zuhause: Dimmbare Steh-Lampe und rutschfester Teppich im Flur.Policy: «Quiet Mondays» oder Meeting-freie Stunden einführen.
Mitreden lassen: Betroffene in Projektteams holen – ihr Sensorik-Radar ist Gold wert.

7. Sensory-Literate Leadership – Fünf Massstäbe

  1. Commitment sichtbar machen: Sensorik-Ziele im ESG-Bericht oder Inklusions-Leitbild verankern.
  2. Budgetieren: 1-3 % der Umbaukosten für Akustik und adaptives Licht einplanen – deutlich günstiger als spätere Krankheitsabsenzen.
  3. Pilot-Zone einrichten: Einen Raum vollständig reizarm gestalten und Nutzungsdaten vor/nachher messen.
  4. Schulen & onboarden: Führungskräfte in 90-Min-Sessions für sensorische Trigger sensibilisieren.
  5. Messen & kommunizieren: KPIs wie Fehlzeiten, Task-Effizienz oder Fluktuation vor und nach Massnahmen vergleichen. Eine nordische Studie zeigt 6-20 % Effizienzsteigerung in reizoptimierten Büros. sciencedirect.com

8. ROI statt Nice-to-Have

  • Produktivität: Menschen in flicker- und lärmreduzierten Räumen erledigen kognitive Aufgaben 8-20 % schneller. olympialighting.com
  • Talent-Retention: Arbeitgeberinnen, die Neurodiversität sichtbar unterstützen, berichten von halbierter Fluktuation bei spezialisierten Fachkräften.
  • Employer Branding: Wer Sensorik-Design kommuniziert, positioniert sich als verantwortungsbewusste Marke – gerade für die Generation Z entscheidend.

Fazit

Sensorik Design ist kein Mammutprojekt. Beginnen Sie mit dem, was man sehen, hören und riechen kann – und geben Sie Menschen Wahlmöglichkeiten. Jeder eingesparte Dezibel, jede reduzierte Lichtflimmerfrequenz und jede klar beschriftete Tür zahlt doppelt zurück: in Lebensqualität für Betroffene und Angehörige – und in Fokus, Gesundheit und Innovationskraft für Teams und Unternehmungen.

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Rechtlicher Hinweis: Dieser Artikel dient ausschliesslich der Information und Prävention. Die Inhalte ersetzen keine medizinische oder psychotherapeutische Behandlung. Bei akuten psychischen Belastungen wende Dich an einen Arzt oder Psychotherapeuten. Coaching ist keine Heilkunde und behandelt keine Krankheiten.


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