Unerkannte Neurodivergenz im Arbeitsalltag
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Unerkannte Neurodivergenz im Arbeitsalltag

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Unerkannte Neurodivergenz im Arbeitsalltag ist ein Thema, das oft übersehen wird. Dabei kann genau dieser Umstand weitreichende Folgen für Betroffene und ihre Kolleg*innen haben. Die folgende Situation spielte sich in einem Büro ab: Eine Kollegin führte ein Telefonat und legte anschliessend deutlich aufgewühlt den Hörer auf. Sie wirkte verärgert, sprach ungewohnt laut und schlug schliesslich auf den Tisch. In der direkten Umgebung wurde das Verhalten kommentiert:

„Die hat ihre fünf Minuten. Das kommt öfter vor, wenn sie am Telefon war. Einfach abwarten, das legt sich wieder. Und geh jetzt lieber nicht in ihr Büro – sonst bekommst du auch gleich etwas ab. Sie ist eben ein bisschen cholerisch.“

Soweit die schnelle Einschätzung.
Doch was, wenn das ein sogenannter Meltdown war – also ein Moment extremer Überforderung oder Verzweiflung? Was, wenn diese Frau möglicherweise neurodivergent ist, ohne dass es bisher erkannt wurde? Eine unerkannte Neurodivergenz im Arbeitsalltag ist?

„Früher gab es ADHS oder Autismus nicht!“
Diesen Satz hört man immer noch häufig. Aber ist das wirklich so? Oder wurden bestimmte Verhaltensweisen einfach nicht als mögliche Neurodivergenz erkannt?

Unerkannte Neurodivergenz im Alltag

Viele Beispiele aus dem Arbeits- oder Privatleben lassen sich anders deuten, wenn man Neurodivergenz in Betracht zieht:

  • Die Person, die scheinbar nie „Nein“ sagt und für alle Aufgaben bereitsteht. Was, wenn ihr das Abgrenzen tatsächlich schwerfällt und sie dadurch ständig an ihre Belastungsgrenze gerät?
  • Jemand, der immer wieder an einer bestimmten Aufgabe scheitert, beispielsweise am Telefonieren, obwohl „alle anderen“ damit zurechtkommen. Was, wenn diese Tätigkeit für sie oder ihn eine besondere Hürde darstellt?

Im ersten Moment mag das Verhalten als „unverständlich“, „schwierig“ oder „cholerisch“ wirken. Doch oft steckt eine ganz andere Ursache dahinter: Die betroffene Person könnte neurodivergent sein und auf Stress, Kommunikation oder neue Situationen empfindlicher reagieren.

Welche Folgen hat es, wenn die Neurodivergenz unerkannt bleibt?

  • Burnouts, häufige Krankheitsphasen oder Zusammenbrüche: Eine dauerhaft erhöhte Belastung führt irgendwann zur Erschöpfung.
  • Fehlurteile im Umfeld: Wer keine Erklärung für das Verhalten kennt, schreibt es negativen Eigenschaften zu (z. B. „Choleriker*in“).
  • Ausbleibende Unterstützung: Ohne Wissen über die Hintergründe fehlen konkrete Strategien und Entlastungen – für Betroffene ebenso wie für das Team.

„Weil es das ja früher nicht gab!“

Diese Aussage bezieht sich oft auf den Eindruck, dass Diagnosen wie ADHS oder Autismus „in Mode“ gekommen seien. Tatsache ist jedoch, dass Neurodivergenz schon immer existierte – nur wurde sie nicht erkannt oder anders benannt. Heutzutage gibt es mehr Wissen, bessere Diagnostik und weniger Stigmatisierung, was es möglich macht, diese Vielfalt eher wahrzunehmen.

Fazit

Neurodivergenz hat es immer gegeben und wird es immer geben. Entscheidend ist, dass wir Verhaltensweisen, die uns zunächst unverständlich erscheinen, nicht vorschnell abwerten. Wenn jemand regelmässig an bestimmten Aufgaben scheitert oder in Stresssituationen ungewohnt reagiert, könnte dahinter eine neurodivergente Eigenschaft stecken.

Je eher man sich dieser Möglichkeit bewusst ist, desto leichter lassen sich passende Hilfen, Verständnis und Entlastungen organisieren. Denn hinter dem vermeintlichen „cholerischen Ausbruch“ könnte in Wahrheit eine Überforderungssituation stecken, die mit dem richtigen Hintergrundwissen anders – und besser – begleitet werden kann.


Neurodivergenz gab es schon immer. Heute wissen wir nur mehr darüber und können dementsprechend handeln.

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